Geschichte
Kalkar besitzt mit St. Nicolai
eine weit und breit einzigartig reiche mittelalterliche Bürgerkirche. 1230 gründete der Klever Graf vor Altkalkar die Stadt Kalkar (Rechte 1242). Diese errichtete bis 1460 auf reißbrettartigem Stadt-Grundriss die teils heute noch erhaltenen Bürgerhäuser, 1446 ihr historisches Rathaus und dann die gotische Hallenkirche nach einem Brand 1409. Bruderschaften und Gilden trugen in der Blüte der Hansestadt bis 1570 zur überaus reichen, hochgotischen Ausstattung bei. Die Klever Herzöge mit ihrer Burg bei Kalkar auf dem Monterberg und die von ihnen 1455 angesiedelten Dominikaner waren für die Stadt sehr wichtig. So hatten Kirche, Politik und Wirtschaft (Hanse!) Verbindungen nach Köln, Xanten, Wesel, Nimwegen, Zwolle, Utrecht, Amsterdam, Antwerpen und vor allem nach Brügge und Gent ins burgundische Herrschaftszentrum.
Harte Zeiten: Die Reformation nach 1517, der seine Lage verändernde Rhein, die Pestepidemie, der spanisch-niederländische Krieg (1568-1648) und der wirtschaftliche Niedergang nach der Blüte der Kalkarer Tuch- und Brauerei-Wirtschaft ließen die Landbevölkerung in einer Armut zurück, die für Neues nicht mehr stark genug war. Tapfer und teuer verteidigten die Bürger ihre Kunstschätze gegen die Hessen und Napoleon. Im 19. Jahrhundert wurde endlich staatlicherseits der große Schatz durch Restaurierung gefördert. Nach 1802 kamen viele Ordenskunstwerke aus den aufgelösten Stiften zusätzlich nach St. Nicolai. Die Pfarre verkaufte dagegen zum Erhalt des Ganzen Teile in alle Welt. In St. Nicolai ist das Lebensgefühl des Mittelalters dennoch heute deutlich fühlbar.
St. Nicolai ein „Face“-Book? Man müsste die Gesichter auf den Darstellungen in der Kirche einmal alle zählen. Mit der Entdeckung des Individuums kamen auch viele Kalkarer Köpfe dort ins Bild. Menschen am Beginn des aufbrechenden Humanismus präsentierten in ihrer Kirche die Patrone ihrer Gilden und Bruderschaften, gestalteten zu Taufe, Trauung und Tod die Lebenseckpunkte ihres Familienalltags, sie stifteten zum Seelenheil Altäre und Figuren, beteten gegen die Pest, rangen um Ablässe, feierten ihre Prozessionen, Patronatsfeste und Jahresfesttage, ehrten in Altären, Epitaphien und Grabplatten ihre großen Toten, schmückten Altaraufbauten mit Reliquienkästen möglichst vieler Heiliger und himmlischer Fürsprecher, gaben dem Himmel in vielen Köpfen ein Gesicht auf der Erde und sponserten St. Nicolai durch manche Stiftungen.
Große Meister wie Henrik Douvermann (Siebenschmerzen-Altar), Arnt van Tricht und Henrik van Holt folgten im 16. Jh. auf die des 15. Jh.: Derick und Jan Baegert, Meister Arnt von Kalkar und Zwolle, Jan Joest, Kerstken van Ringenberg, Dries Holthuys, Ludwig Jupan von Marburg, Henrik Bernts, Hendrik sGroten u.a. wie der Meister des Kalkarer Annenaltars oder des Kalkarer Marientodes. Der in Kalkar aufgewachsene Gocher Restaurator Ferdinand Langenberg schnitzte Ende des 19. Jh. für Kalkar neben vielen Restaurationen den expressiven Kreuzweg.
Zehn mittelalterliche Altaraufbauten von 18 sind ganz erhalten. Überall wurde statt weicher Linde harte Eiche verwendet. Allein der Hochaltar zählt 208 geschnitzte Eichenfiguren; die Wurzeln des Siebenschmerzenaltars erreichen eine Schnitztiefe von 64 cm. Insgesamt 102 Gemälde zieren St. Nicolai, davon 20 Bildtafeln von Jan Joest am großen Passionsaltar in höchster Qualität niederländisch-flämischer Meister. Zudem sind 75 geschnitzte Statuen zu finden. Die Schatzkammer zeigt kirchliches Gerät und Jahrhunderte alte Messgewänder. 29 teils übergroße Grabplatten und manche Altarinschriften gedenken der Toten. Die filigrane Deckenbemalung, das Jüngste Gericht, sowie Taufstein und Sakramentshaus stammen aus der Gründungszeit. Das große Chorgestühl mit witzigen Schnitzereien diente der Liebfrauenbruderschaft.
Und ferner: Die barocke Orgel von 1664 wurde 1868 durch eine neugotische ersetzt, 1968 dann mit altem Prospekt durch die Seifert-Orgel (34 Register). Die Sakristei hat über die Zeit ihre Schränke und Schlösser, ihre Türen und Tresore behalten. Der Zelebrationsaltar von Erwin Heerich und die kunstvoll-kleinteiligen, farbintensiven, kostbaren großflächigen Kirchenfenster von Karl Martin Hartmann bestehen neben der mittelalterlichen Qualität.