Pastor Alfons Wiegers, Adventsbetrachtung

Am Ersten Advent zum Lied GL 231, 1-6

„O Heiland reiß die Himmel auf“

 

Liebe  Schwestern und Brüder!

Friedrich Spee hat den Text dieses Adventsliedes 1622 gedichtet. Für dieses Lied ist es wichtig zu wissen, in welcher Situation es entstanden ist. Einmal aus dem für uns noch kaum verstehbaren Elend des 30-jährigen Krieges und aus dem noch schlimmeren Elend, das der Hexenwahn über Deutschland gebracht hat. Friedrich Spee betreute diese Frauen bis zum Scheiterhaufen. Angesichts dieses himmelschreienden Elends und seiner eigenen Ohnmacht – so erzählen seine Zeitgenossen – habe er schon mit ganz jungen Jahren schlohweiße Haare bekommen über Nacht.

Diese seine Ohnmacht und Wut bringt er in der ersten Strophe mit stürmischer Ungeduld vor Gott zum Ausdruck:

 

1. O Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf.

Reiß ab, vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für.

 

So kann nur einer beten, der in höchster Not ist., dem der Boden unter den Füßen entgleitet, der nicht mehr ein noch aus weiß. Es ist gut zu wissen, dass ich so beten darf, wenn mir das Wasser bis zum Hals steht. Es ist gut zu wissen, dass ich so ungeduldig und so aufdringlich bei Gott um Hilfe schreien kann. Nur der kann uns noch retten und erlösen.

Vielleicht denkt jemand: Was soll’s? Wir haben keinen 30-jährigen Krieg und keine Hexenverbrennung. Gewiss: Aber ist unsere Zeit so viel zivilisierter? Ich erinnere an die grausamen Kriege oder die Qualen und Verbrennungen in den KZs unter Hitler. Laut Statistik ist heute jede 3. Frau sexuell missbraucht. Und heute werden auch Kinder grausam misshandelt. Die Tötung hunderttausender ungeborener Kinder lassen uns aufschreien: „O Heiland reiß die Himmel auf!“ Wir haben allen Grund, so zu beten.

Wem von uns stand oder steht das Wasser nicht bis zum Hals. Aber wir, wünschen wir uns denn ihn, den Heiland: als einen, der Macht hat, der dreinschlägt, Rache übt, für Ordnung sorgt. Für Friedrich Spee kommt so ein Gott nicht in Frage, der sich wie die Menschen benimmt.

 

2. O Gott, ein’ Tau vom Himmel gieß, im Tau herab, o Heiland fließ.

Ihr Wolken brecht und regnet aus den König über Jakobs Haus.

 

Unbemerkt von der großen Öffentlichkeit soll dieser König kommen, so still wie der Tau in der Nacht sich auf die Blumen senkt. Vor der Ankunft aus den Wolken, vor der endgültigen Herrschaft Gottes über diese Welt steht die unhörbare Ankunft in den Herzen der Menschen. Aber wer still ist, hört die Stimme tief drinnen im eigenen Herzen. Umkehr ist nur bei den Menschen möglich, in deren Herzen Jesus immer neu geboren wird. Hier setzt auch die Veränderung der Welt an. Nur so ist das Böse im Menschen und in der Welt zu besiegen. Das ist doch der Sinn allen Rufens in der Adventszeit, dass ER aus der erde unseres Herzens springt. Dann lösen sich das Starre und die Härte unserer erkalteten Herzen. Und wenn die Kälte verschwindet, dann werden Berg und Tal grün. Neues Leben, neue Geburt, neue Schöpfung ist überall dort, wo ein Mensch sich öffnet, damit Gottes Leben in ihm geboren wird.  Darum geht es! Das will uns Friedrich Spee sogar auch in der 3. Strophe sagen:

 

3. O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd, dass Berg und Tal grün alles werd.

O Erd, herfür dies Blümlein bring, o Heiland, aus der Erden spring.

 

Gottes Sohn möchte in uns neu zur Welt kommen. Wie ein roter Faden durchzieht diese Bitte das ganze Lied. Nur so können wir die Welt verbessern, in der Menschen nicht mehr gequält werden.

Die Strophen vier und fünf nehmen das Thema auf mit packenden Gegenüberstellungen. Trost und Jammer – Sonnenlicht und Dunkel:

 

4. Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt?

O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal.

5. O klare Sonn, du schöner Stern, dich wollten wir anschauen gern;

o Sonn, geh auf; ohn deinen Schein in Finsternis wir alle sein.

 

Unserer trostlosen Gwneration muss erst wieder Trost verkündet werden: „So wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch!“ Gott als Mutter, die uns Trost spendet. Wer von uns braucht diesen Trost nicht?! Ohne IHN bin ich jämmerlich. Ohne IHN ist die Welt ein Jammertal. Das jammernde Geschrei der gequälten Frauen brachte Friedrich Spee wohl zu diesem Vergleich. Ohne diesen Trost ist die Welt dunkel. In der Dunkelheit kann kein Leben entstehen. Daher die Bitte: O Sonn, geh auf! Ohn deinen Schein in Finsternis wir alle sein!

Hängt der trostlose Zustand so vieler Menschen in der Welt vielleicht damit zusammen, weil wir Jesus Christus als Mittler verloren haben, die Sonne des Lebens? Wollen wir im Gegensatz zu Friedrich Spee IHN überhaupt noch anschauen? Haben wir das überhaupt nötig? Doch, nötig haben wir ihn schon:

 

6. Hier leiden wir die größte Not, vor Augen steht der ewig Tod.

Ach komm, für uns mit starker Hand vom Elend zu dem Vaterland.

 

Bildlos und fast tonlos wird hier festgestellt: Ohne diesen Trost leiden wir die größte Not. Aber das hat noch größere Konsequenzen: „Vor Augen steht der ewig‘ Tod!“ Es gibt auch die Möglichkeit des ewigen Todes für die Menschen, die sich selbst zu Gott machen.

Sozusagen als Zusammenfassung des gesamten Liedes die Bitte an Gott: „Ach komm, führ uns mit starker Hand vom Elend zu dem Vaterland! Es geht uns wie Kinder, die sich nach einer Hand im Dunkeln ausstrecken, einer ruhigen und festen Hand, die uns durch das Jammertal dieser Welt geleitet zu Gott. Eine Hand, die sich so fest um unser Handgelenk legt, so dass ich ihr nicht mehr entgleiten kann.

 

Meditation:

 

Gott wird Mensch,

            damit es menschlicher zugeht auf der Erde.

Gott wird Mensch,

            um ein Stück Himmel auf die Erde zu bringen.

Gott wird Mensch,

            damit wir erkennen, wie gut Gott es mit uns meint.

Gott wird Mensch,

            damit wir einmal für immer bei Gott sein können.