Predigt von Bischof Felix zur Fenstereinsegnung

Predigt von Bischof Dr. Felix Genn am 3.10.2020

in den Glaubenstagen von St. Clemens und Heilig Geist Kalkar und zur Einsegnung der letzten beiden Fenster in St. Nicolai

 

Lieber Mitbruder Werner, lieber Pfarrer van Doornick, lieber Herr Hartmann, liebe Frau Jeckel, liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

 

in der Vorbereitung auf die Begegnung mit Ihnen habe ich wahrgenommen, was schon alles zu diesen wertvollen großartigen Fenstern im Laufe der letzten Jahre gesagt worden ist: Tiefe Gedanken zum Licht, zur Farbe, zur Deutung dieses Kunstwerks. Was könnte ich dem noch hinzufügen? Deshalb war es für mich, liebe Mitchristen aus Kalkar, eine gewisse Entlastung, dass Ihr Pfarrer mir gesagt hat: Herr Bischof, predigen Sie jetzt mal nicht über das Licht und die Fenster, sondern verkündigen Sie das Wort Gottes. Aber ich kann ja nicht einfach das Wort Gottes, wie es uns an diesem Sonntag vorgelegt wird, in meine Verkündigung aufnehmen, ohne einen Bezug herzustellen zu Kalkar und zu dem Ereignis, das wir heute Nachmittag hier feiern.

 

So möchte ich Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, sagen, was mich bewegt und begeistert, wenn ich an Kalkar denke, von Kalkar erzähle und an diesem Tag hier mit Ihnen Eucharistie feiern kann. Da ist zunächst einmal ein sehr bewegendes Motiv zu nennen. Wenn ich in diese Kirche komme, auch mit Besuchern und Gästen ganz privat, dann sehe ich an den vielen Altären bürgerschaftliches Engagement, wie wir heute sagen. Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt haben investiert, diesem Raum eine solche Ausstattung zu geben. Seit 500 Jahren und mehr wird hier christliches Leben durch Frauen und Männer gestaltet!

 

In unserer Gegenwart dürfen wir genau das wieder erfahren und erleben, dass Sie als Bürgerinnen und Bürger von Kalkar dieses Projekt der Ausstattung Ihrer Nicolai-Kirche im Verbund mit vielen anderen, die Sie unterstützt haben, auf den Weg gebracht haben. Menschen ist es wichtig, diesen Raum zu erfahren - der für sich -,ohne je ein Wort zu sagen, davon spricht, dass es Gott gibt, dass es die Botschaft des Glaubens gibt, dass dieser Raum mein Leben in Beziehung bringen kann mit einer anderen Dimension.

 

Wenn ich dann das Wort der ersten Lesung auf mich wirken lasse und ins Gespräch bringe mit diesem Engagement, dann gibt es unmittelbar eine Verbindung. Sie haben eben dieses Lied des Propheten gehört, das von einer Enttäuschung Gottes spricht. Ja, das gibt es, eine Enttäuschung Gottes! Im Bild eines Weinbergs stellt der Prophet im Namen Gottes dar, wie sehr Gott sich um den Weinberg – und was für ein schönes Bild für ein Volk, für die Menschheit überhaupt, weil da so Kostbares wächst! -, bemüht hat und feststellen muss: Es sind einfach keine Früchte zu erwarten. Ja, es ist sogar in diesem Volk, wo man Rechtsspruch erwartet, Rechtsbruch festzustellen (vgl. Jes 5,7). Gott ist enttäuscht, weil die Investition Seiner Liebe nichts gebracht hat, keine Frucht trägt. Er sucht Menschen, die mit Ihm an Seinem Werk arbeiten.

 

Ich erlaube mir, Ihr Engagement als Bürgerinnen und Bürger durch die Jahrhunderte in diesen Kontext zu stellen, sonst könnte nicht ein solches Werk entstanden sein. Dann will ich Ihnen vor Augen stellen, was das heißt, wenn wir von Gott und einer Enttäuschung Gottes sprechen. Ist das nicht allzu menschlich gedacht? Was ist das für eine Gottesvorstellung, dass Er Mitarbeiter sucht? Jedenfalls entspricht das nicht großen philosophischen und theoretischen Gedanken, aber es entspricht der Botschaft des jüdisch-christlichen Glaubens; Sie als Mitarbeiter Gottes!

Dann fällt mir das Wort ein, das auf dem Grab des großen Gründers der Jesuiten steht, des hl. Ignatius: „Durch das Größte nicht eingegrenzt zu werden, und dennoch vom Kleinsten umfangen zu sein, das ist göttlich.“ Dieser Satz hat Hölderlin so fasziniert, dass er das über sein großes Werk „Hyperion“ gesetzt hat. „Nicht vom Größten eingegrenzt zu werden, und dennoch vom Kleinsten umfangen zu sein“, diese Größe Gottes, die gleichzeitig sich klein macht, indem sie uns einbezieht in Sein Werk, uns umfängt, obwohl Er unendlich größer ist als das, was wir uns denken können.
Liebe Schwestern und Brüder, dann gibt es ein Zweites, was mich an dieser Kirche bewegt: Auf der einen Seite sind das diese Altäre mit einer Vielzahl von Darstellungen Heiliger und Geschichten aus der Heilsgeschichte Gottes mit Seinem Volk, geschaffen in einer Zeit, in der sozusagen das Christliche die prägende Kraft der Sozialgestalt überhaupt war. Jeder fühlte sich hier verstanden, angenommen, in die Größe Gottes hineingeweitet und konnte an der konkreten Gestalt der vielen Figuren sich seine Gedanken und Betrachtungen über den Glauben machen. Jetzt haben wir in unserer Moderne abstrakte Fenster, die Licht spenden, die farbig sind, die Formen enthalten, die nichts Konkretes, kein konkretes Bild darstellen, und die doch einladen zum Anschauen, zum inneren Aufnehmen und zum Betrachten und zwar weit über die Botschaft des Glaubens hinaus, einfach dadurch, dass sie Schöpfungswirklichkeiten vor Augen stellt, Schöpfungswirklichkeiten, die vielfach durch die vielen Ansprachen gedeutet worden sind und immer weiter gedeutet werden können, je nachdem, wie die Betrachterin oder der Betrachter auf diese Fenster schaut. An welch einem Werk, Herr Hartmann, dürfen Sie teilnehmen, an so etwas Unerschöpflichem mitwirken! Welche Gabe! Viele Menschen werden im Laufe der Jahre und Jahrzehnte je mit ihren eigenen Augen schauen und deuten, ob sie nun religiös oder nicht-religiös, christlich oder nicht-christlich sind. Sie können hier angesprochen werden. Das passt genau in unsere Gegenwart.

 

Und das passt genau, liebe Schwestern und Brüder, auch in die Botschaft des Christlichen. Dann höre ich den Apostel Paulus in der zweiten Lesung sagen: „Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert und ansprechend ist, darauf seid bedacht!“ (Phil 4,8). Großartig! Kein einziges frommes Wort. Aber öffnend für den Raum, dass Menschen sich da geborgen wissen können, und genau das ist auch die Botschaft dieser Fenster für mich, die ich mir im Einzelnen noch gar nicht verinnerlichen konnte, aber die ich schon einfach dadurch, dass ich mich im Vorfeld damit beschäftigt habe, so – ganz schlicht, aber wenig ausgeschöpft - deuten kann. Dass Menschen hier, „was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert und ansprechen ist“, was schön ist, in ihr Leben hineinnehmen können. Dass dabei auch ausdrücklich vom Künstler die gesamte Schöpfung - bis in ihre Elementarteilchen - mitbedacht wurde, ist etwas ganz Großartiges, weil es genau so in diese Botschaft, die Ignatius über sein Leben geschrieben hat, Kunde gibt: Nicht vom Größten begrenzt zu werden. Und was ist hier groß und unausschöpflich! Und dennoch: Vom Kleinsten eingefangen zu werden in Form, Gestalt, in Fenstern und Farbe, das ist göttlich. Davon kündet dieses Haus in unterschiedliche gesellschaftlichen Bezüge.

 

Und dann, liebe Schwestern und Brüder, schaue ich auf die Botschaft des heutigen Evangeliums an diesem Sonntag. Da wird die Basis gezeigt für all das, was wir bisher gehört haben, diese Botschaft, die Jesus von sich selber gibt; denn Er erzählt als der großartige Erzähler von Seinem Geschick. Da ist einmal davon die Rede, dass Er sich selber als „den Eckstein“ (Mt 21,42) bezeichnet. Das erinnert mich daran, dass der Apostel Paulus im Brief an die Kolosser einmal sagt: „Er ist der Erstgeborene der ganzen Schöpfung und in Ihm ist alles erschaffen im Himmel und auf Erden“ (Kol 1,15-16). So kann Er mit allen Wirklichkeiten der Schöpfung beschrieben werden: Er ist der Eckstein; Er ist das Licht – „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 8,12) –; der Weinstock – alles pflanzliche Bilder. Er ist das Lamm Gottes – hier wird die Tierwelt angesprochen; Er ist der Bote, der Engel des göttlichen Ratschlusses; und dann wird Er Mensch und zwar so ganz konkret, dass Er auch verworfen werden kann wegen der Botschaft, dass Gott Mitarbeiter sucht, Früchte einsammeln will, Menschen bewegen möchte, an Seinem Engagement für die Welt und die Schöpfung mitzuwirken.

 

Liebe Schwestern und Brüder, diese Botschaft entgrenzt, sie lässt frei und macht frei. Vielleicht müssen wir das neu lernen, weil wir, besonders die Älteren, eine ganz andere Sozialgestalt der Kirche kennen gelernt hatten. Wir müssen lernen, dass Kirche nicht mehr prägend für die gesamte Gesellschaft ist. Aber sie ist heute wie zu aller Zeit in der Gefahr, das Göttliche einzugrenzen auf eine bestimmte Struktur und deshalb nicht sich weiten und öffnen kann auch auf die hin, die möglicherweise ganz andere Früchte bringen, aber vom Herrn genauso als Mitarbeiter für Sein Werk angesehen werden können. Auch in dieser Stunde, in der wir uns bemühen als Kirche uns zu erneuern, stehen wir immer in der Gefahr, als Kirche gut dastehen zu wollen. Darauf kommt es nicht an! Es kommt darauf an, dass Menschen von der Botschaft erfasst werden, spüren: Darin liegt ein Fundament für mein Leben, da mache ich mit, und dann können Sie dem begegnen, der tatsächlich der Erstgeborene der ganzen Schöpfung ist, und Ihn entdecken, bei dem uns am deutlichsten vor Augen geführt wird, dass Gott sich nicht vom Größten eingrenzen lässt und dennoch vom Kleinsten umfangen wird: Im Kind in der Krippe, dem Gekreuzigten am Holz. Das ist göttlich.
Ich danke Ihnen für dieses Engagement, das Sie hier entfalten, auch die vielen Frauen und Männer, die durch die Kirche führen und versuchen, den Besucherinnen und Besuchern diesen Raum zu erschließen. Überall wirken Sie daran mit. Und ich wünsche Ihnen, dass Sie Menschen begegnen, die etwas spüren von der Kraft des Lichtes, für das die Kirche Fenster sein soll. Amen.