Interview der NRZ mit David Kerkenhoff, Pfarreiratsmitglied von Heilig Geist

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Im Interview mit der NRZ vertritt David Kerkenhoff, Pfarreiratsmitglied von Heilig Geist, seine eigene Meinung …

 

NRZ: Viele Katholiken spielen gerade mit dem Gedanken, aus der Kirche auszutreten. Sie auch?

David Kerkenhoff: Ja, diesen Gedanken habe ich schon tausend Mal durchgespielt. Mit Blick darauf, was alles falsch läuft und wie furchtbar das Ganze ist, weiß ich nicht, ob ich einer Institution angehören möchte, die Kinder vergewaltigt, die Frauen, Homosexuelle und queere Menschen diskriminiert – und damit auch noch durchkommt. Meine Mitgliedschaft in der Kirche ist in letzter Instanz aber immer noch dafür gut, dass mir niemand, wenn ich meinen Mund aufmache, vorwerfen kann: Du bist doch gar nicht mehr dabei. Aber ich denke schon, dass man den christlichen Glauben durchaus auch außerhalb der katholischen Kirche leben kann.

 

NRZ: Wäre es für Sie eine Option evangelisch zu werden?

Kerkenhoff: Nein, tatsächlich nicht. Ich möchte in der katholischen Kirche unbequem sein, und es gibt auch wesentliche Unterschiede zwischen den Konfessionen. Mir ist zum Beispiel die Frage der „Erlösung“ sehr wichtig oder die apostolische Sukzession, also die Lehre, dass alle Bischöfe Nachfolger der Apostel sind. Und natürlich die Frage nach der Eucharistie, die ganz anders in den Kirchen behandelt wird. Und letztlich möchte ich meine Kirche nicht den Hardlinern überlassen.

 

NRZ: Viele gläubige Katholiken sind durch die Missbrauchsfälle in eine Glaubenskrise gestürzt worden. Das ist bei Ihnen auch so?

Kerkenhoff: Ja, keine Frage. Unerträglich ist für mich die deutliche Diskrepanz zwischen der lebensbejahenden, frohen Botschaft von Nächstenliebe und Respekt einerseits sowie dem klerikalistischen Machtapparat andererseits. Ein Apparat, der von Beginn der Priesterausbildung an Wert auf männerbündische Strukturen legt, der sich gegenüber dem Kirchenvolk für moralisch überlegen hält. Ein Apparat, dem seine hunderttausenden Opfer vollkommen egal sind. Ich frage mich oft, wieso mein Gott mir eine solche Kirche antut. Jede Person, die austritt, kann ich sehr gut verstehen.

 

NRZ: Es gibt nach wie vor auch gute Menschen in der Kirche, die ähnlich denken wie Sie. Gibt das noch ein wenig Kraft?

Kerkenhoff: Ich weiß definitiv, dass ich da nicht alleine bin. Die Menschen sind nicht mehr bereit, im Sinne der Landfrömmigkeit zu allem Ja und Amen zu sagen und den Bischof als Gott-Kaiser anzuerkennen. Leute wie du und ich, bei denen Werte im Vordergrund stehen, nicht Liturgie, Weihrauch und Gewänder.

 

NRZ: Sie können ja in der Kirche die Kritik äußern, das tun Sie ja auch. Ist das nicht ein gutes Zeichen für den Reformwillen der Kirche?

Kerkenhoff: Tatsächlich, aber jetzt bin ich jemand, der nicht betroffen ist vom kirchlichen Arbeitsrecht oder anderen Abhängigkeiten. Viel mutiger sind die kirchlichen Angestellten, die ihre Kritik äußern und sich nicht mehr den Mund verbieten lassen. Denn das Schlimme ist ja: alles an Aufklärung und Veränderung ist eben nicht intrinsisch motiviert. Ganz offensichtlich braucht es Menschen, die von außen Druck auf die Filterblase der Amtsträger ausüben.

 

NRZ: Was müsste geändert werden? Sie haben das Arbeitsrecht angesprochen, die Sonderrechte in der Strafverfolgung oder das Staatskirchenrecht.

Kerkenhoff: Vergleicht man unseren Staat und seine Gewaltenteilung mit dem absolutistischen System der Kirche, in dem ausschließlich die Bischöfe und der Papst das Sagen haben, dann wäre so etwas wie Gewaltenteilung in der Kirche ganz wichtig. Man könnte auch staatliche Strukturen schaffen, um im Bereich der Kirche stark durchzugreifen – wenn der politische Wille da wäre. In den USA hat das FBI in den 2000er Jahren die dicken Daumenschrauben ausgepackt, und in Deutschland wird das System Kirche sich selbst überlassen, weil der Staat wegen Verjährung oft gar keine Handhabe hat.

 

NRZ: Aber die Staatsanwaltschaften fangen ja jetzt so langsam auch mal an, Ermittlungen aufzunehmen.

Kerkenhoff: Im Rahmen ihrer Möglichkeiten müsste die Staatsanwaltschaft viel stärker durchgreifen. Es ist ja nicht so, dass das staatliche Recht innerhalb der Kirche außer Kraft gesetzt ist. Missbrauchsgesetze und Straftatbestände gelten ja auch da, wo Kirche tätig ist: in der Kirchenverwaltung etwa. Nur gibt es eben ganz oft den Punkt der Verjährung. Und den hat man kirchlicherseits damit erreicht, dass man alles hinter verschlossenen Türen vertuscht und die Täter einfach versetzt hat. Die Fälle wurden dann als Einzelfall abgetan.

 

NRZ: Wie muss ich mir Gewaltenteilung in der Kirche vorstellen?

Kerkenhoff: Das ist sicherlich eine schwierige Frage, da die apostolische Sukzession die Bischöfe als Nachfolger der Apostel legitimiert. Bei uns Katholiken kann man nicht auf einer Synode einfach mal demokratisch beschließen, wie Gott zu sein hat oder wie Religion auszuüben ist. Bei den Katholiken rechtfertigt sich letztlich alles von oben. Lösungsvorschläge wären eine deutliche Trennung von Pastoral, Lehre und Verwaltung oder ein Bischofsamt auf Zeit.

 

NRZ: Wie kann der Staat mehr Druck auf Kirche ausüben?

Kerkenhoff: Die Kirche erhält für viele ihrer Institutionen öffentliche Gelder: für Caritas, Schulen, Kindertagesstätten oder Krankenhäuser. Die Kirche ist in diesen Fällen einfach Erfüllungsgehilfe für den Staat. Das ist auch hier vor Ort so: Wir beschließen im Kreistag den Kreishaushalt, über den z.B. die Caritas-Verbände ziemlich viel Geld erhalten. Da muss ich sogar als praktizierender Christ und Pfarreirat sagen: Wenn dieses katholische Arbeitsrecht diskriminierend ist, was es ja de facto ist, warum bekommen dann kirchliche Einrichtungen öffentliche Gelder?

 

NRZ: Sehen Sie auch Missstände hier vor Ort im Kreis Kleve?

Kerkenhoff: Ich bin durch meine politischen Tätigkeiten sehr gut vernetzt im Kreis Kleve und ich habe schon an mehreren Stellen, unabhängig voneinander, gehört, dass zumindest die Priester vor Ort auch – ich sage es mal vorsichtig – im Bilde darüber sind, welche Priesterbrüder sich nicht ganz koscher verhalten haben. Da muss sich doch jeder Priester die Frage stellen: Warum bin ich als ausführende Kraft Mitglied in einem Unrechtssystem? Wo ist meine Teilschuld? Warum habe ich nichts gesagt? Wusste ich von den Mitbrüdern vor Ort? In meiner Pfarrgemeinde, in der ich neuerdings als Pfarreirat und seit acht Jahren in der Firmkatechese tätig bin, weiß ich nicht, was da in den letzten 70 Jahren gelaufen ist. Woher auch? Ich habe auf jeden Fall für die nächste Pfarreiratssitzung die Themen Missbrauchsgutachten und diskriminierendes Arbeitsrecht als Tagesordnungspunkte beantragt.

 

NRZ: Hätte die Kirche die Missbrauchsfälle selber gar nicht aufarbeiten dürfen?

Kerkenhoff: Definitiv nicht. Der Bock wurde zum Gärtner gemacht. Man sieht ja auch, wie lange das alles dauert. Selbst der Papst ist involviert, es geht wirklich bis ganz oben. Das ist ja das Ekelhafte daran. Das Aufdecken der Missbrauchsfälle ging 2001 in Boston los, mit einer investigativen Reportage. Damals hat Kardinal Lehmann noch süffisant auf die Frage geantwortet, ob dies auch in Deutschland der Fall sei: „Ich ziehe mir doch keinen Schuh an, der mir nicht passt.“ Rückblickend betrachtet hat er damals wider besseren Wissens gelogen. In Deutschland ging es 2010/2011 los und immer nur wurden Informationen scheibchenweise herausgegeben. Wir sind jetzt über zehn Jahre weiter und noch immer hat nicht jedes Bistum Aufklärung initiiert, ein Gutachten in Auftrag gegeben, geschweige denn die Opfer entschädigt. Die Kirche ist nicht imstande, ihren eigenen Sumpf auszutrocknen.

 

NRZ: Begünstigt das System Kirche den Missbrauch?

Kerkenhoff: Ja, definitiv. Diese Bruderschaftsgepflogenheiten untereinander werden so viel höher aufgehangen als das Leid der Opfer. Und das ist Schema F: Der Priester wird Täter, bekommt einen Rüffel und wird versetzt in eine andere Gemeinde. Da, wo er wieder nur als Einzelfall verbucht werden kann. Das ist das System Kirche.